13. DocNet Symposium

2. Oktober 2015

Am 2. Oktober 2015 fand das „DocNet Symposium“ statt – eine Veranstaltung, die durch DocNet, den Doktorandenverein an der Universität St. Gallen, zum 13. Mal in Folge vorbereitet und durchgeführt wurde. Alljährlich sorgt der St. Galler Forschungsnachwuchs mit dieser Veranstaltung für einen Austausch zwischen Forschern und Praktikern zu Themen, die in Gesellschaft und Wirtschaft ausstrahlen. Dieses Jahr trafen sich etwa 80 Teilnehmende, Doktoranden, Alumnis und Studenten der Universität St. Gallen sowie Vertreter aus Unternehmen verschiedener Branchen in den Räumen des Weiterbildungszentrums St. Gallen, um dem Drahtseilakt Risiko ‐ zwischen Chance und Verantwortung – nachzugehen.

Sieben Vortragende, drei Workshops sowie eine abschliessende Podiumsdiskussion setzten den programmatischen Rahmen der Veranstaltung. Risiko als potenzielle Energie – mit dieser These startete Dr. Ludger Dinkelborg seinen Beitrag über die Auswirkungen der Alzheimer‐Erkrankung auf unsere Gesellschaft sowie sein Engagement als forschender Unternehmer, der Krankheit wirksame Diagnoseverfahren entgegenzusetzen. Seiner These folgend entspringt dem Einsatz von Risiko, die Fähigkeit etwas zu bewegen. Er lieferte mit der Schilderung seines Lebensweges selbst ein einleuchtendes Beispiel: Als Forschender an Diagnoseverfahren für die Alzheimer‐Erkrankung geht er einen Forschungsprozess mit ungewissem Ausgang und ökonomischer Unsicherheit ein – ein Risiko, das seine persönliche Zukunft prägen wird, gleichwohl unserer Gesellschaft das Potenzial verschafft, der Alzheimer‐Erkrankung durch den effektiven Einsatz frühzeitiger Therapien Einhalt zu gebieten. Dinkelborgs Risikobereitschaft kann in Verbindung mit Dr. Martin Booms Vortrag gesehen werden, der zu Beginn der Veranstaltung das anthropologische Bild des Menschen mit dessen Risikofähigkeit verknüpfte. Anders als das Tier lebt der Mensch zukunftsorientiert und setzt sich demnach fortlaufend der Ungewissheit einer unvorhersehbaren Zukunft aus. So wird unsere Gesellschaft zu einem Kollektiv von „Risked Beings“, deren Risikofähigkeit aus der Fähigkeit zur Resonanz resultiert. Eine Rekalibrierung unseres Risikosystems in Form eines fortlaufenden Diskurses und Hinterfragens unseres Wissensstandes sind somit die Voraussetzung, Risiken in verantwortungsvolle Bahnen zu leiten. Ein Stehenbleiben, ein Festhalten an Bewährtem, so Booms, ist nur vermeintlich sicher, wenn nicht sogar gefährlich: „It is impossible to defend what we are because we are just what we are going to be“, betonte er im Verlaufe seines Vortrages.

 

Auch wenn das soziale Wesen „Mensch“ seine Risiken fortlaufend hinterfragen und neu bewerten mag, so kann ungeachtet dessen sein emotionales Wesen für irrationale Auswüchse sorgen. Andy Habermacher hob in diesem Zusammenhang hervor, dass Reflexion auch zu einer Schein‐Sicherheit führen kann, bedingt durch emotionale Mechanismen, deren Ausgangspunkte in den neuralen Prozessen des menschlichen Gehirns zu suchen sind. Habermacher, der es verstand, diese komplizierten Prozesse nachvollziehbar darzustellen, veranschaulichte anhand der menschlichen Gier, wie Emotionen den rationalen Blick auf die Fakten ausschalten und so zu einer verzerrten Risikowahrnehmung führen können. Dabei sorgen unsere Emotionen durchaus auch für eine proaktive Zukunftsgestaltung, in der – unserer Neugierde geschuldet – Grenzen getestet und verschoben werden, immer mit dem Bewusstsein, so Prof. Dieter Thomä, das eigene Scheitern in Kauf nehmen zu müssen. Das Versicherungsprinzip, das von Jason Schupp vorgestellt wurde, kollektiviert in diesem Zusammenhang die Gefahr des individuellen Scheiterns. Es werden die Unsicherheiten des Einzelnen in einem Topf von Risiken gebündelt, der durch Diversifikation verschiedener Art, zu einer kalkulierbaren Grösse wird. Versicherungsunternehmen machen in dieser Weise die Zukunft für das „Risked Being“ nicht vorhersehbar, jedoch überschaubarer. Gleichwohl geht dieser Prozess der Risikominimierung nicht selten mit neuen Risiken einher. Scheitert das Versicherungsunternehmen, so scheitert potenziell auch wieder das Individuum. Ein Umstand, der Regulierung als einen Prozess mit hehren Zielen für den Verbraucher erfordert, jedoch häufig zu Reibungsverlusten auf beiden Seiten – Unternehmen und Verbraucher – führt. Es schliesst sich hier die Frage an, wie Regulierung als Hilfe zur Selbsthilfe organisiert werden kann, um eine regulatorisch bedingte Entlassung des Einzelnen aus seiner eigenen Verantwortung zu vermeiden. Wie erwähnt, hilft die menschliche Neugier, Grenzen neu zu definieren. Ein besonderer Fall von Neugierde, die menschlich gesetzten Grenzen neu zu setzen, offenbarte sich den Teilnehmern in Niklas Winter, der als Extremsportler im wahrsten Sinne des Wortes einen Drahtseilakt zwischen Chance und Verantwortung geht. Winter frönt Aktivitäten, die anderen irrational erscheinen, für ihn jedoch die Chance bieten, dem begrenzten Alltag zu entfliehen. Dem Risiko seines Handelns bewusst, legt er ein systematisches, geradezu penibles Risikomanagement an den Tag: Scheitern stellt in seinem Fall keine Option dar – und wäre wohl auch nicht versicherbar. Die Fähigkeit zur rationalen Resonanz wird so zu einer unabdingbaren Notwendigkeit für ihn, um der (objektiven) Irrationalität seines Handelns präventiv entgegenzuwirken. Während Niklas Winter und Ludger Dinkelborg Beispiele des individuellen „Risked Beings“ sind, die beide ihrer Risikobereitschaft geschuldet zur persönlichen Reflexion gezwungen werden, spiegelt sich dieses Konzept auch auf institutioneller Ebene wider. Aktionäre investieren in die Zukunft eines Unternehmens – folglich obliegt es den Entscheidungsträgern der Unternehmen, die Zukunft zu denken und demnach zu handeln. In diesem Kontext schilderte Patrick Scherrer von Helvetia Versicherungen die Übernahme der Nationale Suisse durch sein Unternehmen im vergangenen Jahr. Zweifelsohne ist der damit verbundene Veränderungsprozess mit viel Ungewissheit und Risiko verbunden, jedoch ist einmal mehr gerade dieses Loslassen vom Status quo die Chance, das Unternehmen für zukünftige Herausforderungen richtig zu positionieren. Langfristig gerieren sich Übernahmeaktivitäten trotz ihrer Risiken als „Katalysator erfolgreicher Volkswirtschaften“ – wenn, so betonte es Scherrer, die diversen Verantwortungen gegenüber verschiedenen Interessengruppen immer wieder ins Gleichgewicht gebracht werden können.

Risiken auf institutioneller sowie persönlicher Ebene waren auch Gegenstand der beiden parallel verlaufenden Vormittags‐Workshops. Megatrends gelten, einem der beiden Workshops zufolge, als die Wurzel neuer Risiken. Pascal Bühler stellte vier Megatrends aus seinem Buch „2050 Megatrends Alltagswelten Zukunftsmärkte“ vor, die das Potenzial haben, die Strukturen unserer Gesellschaft disruptiv zu ändern und Bestehendes in Frage zu stellen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit treten diese strukturellen Brüche auf, und welchen Einfluss werden sie auf die Geschäftsmodelle verschiedener Branchen haben? Diese beiden Fragen beschäftigten die Workshop‐Teilnehmer in Gruppenarbeiten: Als Ergebnis entstanden aus der Einschätzung der Teilnehmer in Anlehnung an die Global Risks Landscape des World Economic Forums Diagramme, die beide Fragestellungen nach Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen gleichzeitigt beantworten (Bild 3). Auf die persönliche Ebene zielte der parallel verlaufende Workshop ab, der die Risiken einer akademischen Karriere thematisierte. Prof. Tami Dinh sowie Prof. Claude Siegenthaler berichteten über ihre gänzlich unterschiedlichen Werdegänge in der akademischen Welt. Eine Veranschaulichung der zahlreichen Wege, die zu einem akademischen Erfolg führen können. Dem Forschungsnachwuchs steht demzufolge ein Mehr an Möglichkeiten zur Verfügung, die jedoch auch ein Mindestmass an Flexibilität und Risikobereitschaft abverlangen – sicher mehr als der berufliche Werdegang in der Praxis.

Die abschliessende Podiumsdiskussion, deren Diskussionsstoff zum Teil durch die Symposiums‐ Teilnehmer im dritten Workshop des Tages selbst erarbeitet wurde, griff die unterschiedlichen Risikokulturen in Amerika und Europa auf. Die Akzeptanz des Scheiterns ist Schupp zufolge, der naturgemäss beide Kulturkreise kennt, eine Errungenschaft der amerikanischen Kultur, von der Europa mehr vertragen könnte – eine Erkenntnis, die von den anderen Teilnehmern der Podiumsdiskussion geteilt wurde. Mit Blick auf die zukünftigen Risiken, die wie Terrorismus oder Klimawandel keinen Halt vor Grenzen machen, scheint eine verstärkte supranationaler Zusammenarbeit unausweichlich. Diese Zusammenarbeit kann jedoch kein Ergebnis von Ad‐hoc‐Beschlüssen sein, sondern muss vielmehr in einem andauernden Entwicklungsprozess von den Menschen absorbiert und so zur Gewohnheit werden. Einmal mehr betonte Thomä während der Podiumsdiskussion, dass es dem Individuum obliegt, durch persönliches Engagement und Resonanz die Zukunft mit all ihren Unwägbarkeiten und Chancen mitzugestalten.

 

Das Organisationsteam des DocNet Symposiums hofft in dieser Hinsicht mit der Veranstaltung einen Beitrag geleistet zu haben und bedankt sich herzlich bei der Funk‐Stiftung für die grosszügige und unkomplizierte Unterstützung sowie bei allen Vortragenden und Mitwirkenden für ihren Einsatz.

Mit freundlichen Grüssen

Svenja Pieper, Constantin Schnupp und Lukas Reichel

 

Flyer und Programm (PDF)

Veranstaltung: 13. DocNet Symposium
Datum: 02.10.2015
Ort: St. Gallen/Schweiz
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